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In der betrieblichen Praxis kommt es häufig vor, dass Betriebsräte in einer Situation, in der sie nach dem Gesetz vom Arbeitgeber mit zu beteiligen sind, übergangen werden. Dieser Artikel beschreibt 5 Situationen, in denen der Betriebsrat ein Mitspracherecht hat, welches von Arbeitgebern oft nicht beachtet wird.
von Rechtsanwalt Dr. Kluge, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hannover
1. Alltägliche „technische Überwachungseinrichtungen“
Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht bei dem Einsatz sogenannter “technischer Überwachungseinrichtungen”.
Was von Arbeitgebern häufig übersehen wird ist, dass “technische Überwachungseinrichtungen” im Sinne dieser Vorschrift nicht nur technische Geräte sind, mit denen der Arbeitgeber auch die Absicht verfolgt, Mitarbeiter zu überwachen, wie z.B. Videokameras oder elektronische Zeiterfassungssysteme, sondern auch Geräte, die eine Überwachung der Mitarbeiter nur ermöglichen, auch wenn der Arbeitgeber gar nicht die Absicht hat, mit ihnen die Mitarbeiter zu überwachen.
Mitbestimmungspflichtige technische Überwachungseinrichtungen im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG sind deshalb auch ganz alltägliche Arbeitsmittel wie z.B. ein ganz normaler PC im Büro, Software-Anwendungen wie Microsoft 365 und in der Regel sogar die Internet- und Facebookseite des Arbeitgebers. Denn auch mit Hilfe dieser Dinge könnte der Arbeitgeber die Leistung und das Verhalten der Arbeitnehmer überwachen.
Dass es sich bei den ganz alltäglichen elektronischen Arbeitsmitteln um mitbestimmungspflichtige technische Überwachungseinrichtungen handelt, bei denen sich Arbeitgeber und Betriebsrat erst einmal über die Modalitäten ihres Einsatzes einigen müssen, bevor sie im Betrieb eingesetzt werden dürfen, wird von Arbeitgebern häufig nicht beachtet und Arbeitgeber setzen diese Arbeitsmittel im Betrieb ein, ohne dass es darüber eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat gibt.
2. Unterrichtung und Beratung über Baumaßnahmen
Nach § 90 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat zu informieren, wenn er Neubauten, Umbauten oder Erweiterungsbauten von Fabrikations-, Verwaltungs- oder sonstigen betrieblichen Räumen plant.
Der Arbeitgeber muss außerdem die vorgesehenen Baumaßnahmen und ihre Auswirkungen auf die Arbeitnehmer so rechtzeitig mit dem Betriebsrat beraten, dass Vorschläge und Bedenken des Betriebsrats bei der Planung noch berücksichtigt werden können.
In der Praxis passiert dies nach meiner Wahrnehmung jedoch häufig nicht und Arbeitgeber legen mit Baumaßnahmen oftmals schon los, bevor sie den Betriebsrat überhaupt nur informiert haben.
Das ist für mich vor allem auch deshalb immer unverständlich, weil eine Verletzung dieser Informationspflicht durch den Arbeitgeber eine Ordnungswidrigkeit darstellt, die mit einer Geldbuße von bis zu 10.000 Euro geahndet werden kann.
3. Auswahl der Teilnehmer für eine Schulungs- oder Fortbildungsmaßnahme
Wenn es um Schulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen für Mitarbeiter geht, dann haben Arbeitgeber häufig eine genaue Vorstellung davon, welche Mitarbeiter an einer solchen Maßnahme teilnehmen sollen und welche nicht.
Was Arbeitgeber dabei häufig übersehen ist, dass der Betriebsrat das Recht hat, eigene Vorschläge dazu zu machen, wer zusätzlich zu den von Arbeitgeber ausgewählten Teilnehmern auch noch an einer bestimmten Schulung oder Fortbildung teilnehmen soll.
Arbeitgeber melden Mitarbeiter häufig schon für eine Schulung oder Fortbildung an oder planen sie dafür ein, ohne mit dem Betriebsrat zuvor darüber gesprochen zu haben, ob der Betriebsrat nicht auch noch weitere Mitarbeiter vorschlagen möchte, die ebenfalls an der Schulung teilnehmen sollen.
Das ist vor allem deshalb nicht gut, weil der Betriebsrat das Recht hat, dem Arbeitgeber sozusagen auf Augenhöhe eigene Teilnehmer für eine Schulung vorzuschlagen, die der Arbeitgeber nicht auf dem Schirm hatte. Denn wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht darüber einigen können, ob auch die vom Betriebsrat vorgeschlagenen Mitarbeiter an der Schulung teilnehmen, würde über diese Frage auf Antrag die Einigungsstelle entscheiden. Und die Entscheidung der Einigungsstelle wäre sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Betriebsrat rechtsverbindlich.
4. Abschluss von Aufhebungsverträgen
Jeder Arbeitgeber weiß, dass er den Betriebsrat anhören muss, bevor er einem Arbeitnehmer kündigen darf. Genauso bekannt ist unter Arbeitgebern, dass der Betriebsrat nicht vorher angehört werden muss, wenn das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer nicht durch eine Kündigung, sondern durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages beendet werden soll.
Was Arbeitgeber aber gerne übersehen ist, dass der Betriebsrat bei dem Abschluss von Aufhebungsverträgen in bestimmten Situationen doch vorher zu beteiligen ist, und zwar dann, wenn der Arbeitgeber eine größere Anzahl an Aufhebungsverträgen abschließen will.
Die entscheidenden Schwellenwerte finden sich hier in § 17 Kündigungsschutzgesetz. Nach dieser Vorschrift muss der Arbeitgeber den Betriebsrat schriftlich informieren und er muss mit dem Betriebsrat in Beratungen eintreten, wenn er eine bestimmte Anzahl an Arbeitnehmern entlassen will. Und als Entlassung im Sinne dieser gesetzlichen Vorschrift gilt auch der Abschluss eines Aufhebungsvertrages.
Deshalb muss der Arbeitgeber den Betriebsrat ausnahmsweise doch auch vor dem Abschluss von Aufhebungsverträgen beteiligen, und zwar dann, wenn er innerhalb von 30 Kalendertagen je nach Mitarbeiterzahl im Betrieb die folgende Anzahl an Arbeitnehmern entlassen will:
- in Betrieben mit 21 bis 59 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,
- in Betrieben mit 60 bis 499 Arbeitnehmern 10% der Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer, und
- in Betrieben mit 500 oder mehr Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer.
Wenn der Arbeitgeber die erforderliche Anzahl von Entlassungen nicht innerhalb von 30 Kalendertagen, sondern über einen längeren Zeitraum vornehmen will, kann der Betriebsrat trotzdem vor dem Abschluss entsprechender Aufhebungsverträge zu beteiligen sein, weil dann trotzdem eine sogenannte Betriebsänderung vorliegen könnte, mit der Folge, dass der Betriebsrat das Recht hat, mit dem Arbeitgeber über einen Interessenausgleich zu verhandeln.
5. Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
Bei der letzten Situation, die ich euch schildern möchte, bei der Arbeitgeber in der betrieblichen Praxis gerne übersehen, dass hier der Betriebsrat zu beteiligen ist, geht es um betriebsbedingte Kündigungen.
Wenn der Arbeitgeber betriebsbedingte Kündigungen aussprechen will, ist es häufig so, dass für die Kündigungen mehr Arbeitnehmer in Betracht kommen als am Ende dann tatsächlich gekündigt werden sollen. Der Arbeitgeber muss in einer solchen Situation entscheiden, welche Arbeitnehmer die Kündigung bekommen sollen und welche ihren Arbeitsplatz behalten dürfen.
Wenn ein Arbeitgeber z.B. 10 Sachbearbeiter-Stellen durch betriebsbedingte Kündigungen abbauen will und er insgesamt 50 Sachbearbeiter beschäftigt, muss er entscheiden, welche 10 von den insgesamt 50 Sachbearbeitern die Kündigung bekommen sollen.
Diese Auswahlentscheidung muss der Arbeitgeber nach sozialen Gesichtspunkten treffen. Er muss eine sogenannte Sozialauswahl durchführen.
Was viele Arbeitgeber in einer solchen Situation nicht berücksichtigen ist, dass der Betriebsrat bei dieser Sozialauswahl zu beteiligen ist. Denn die Sozialauswahl wird normalerweise anhand eines Punkteschemas durchgeführt, mit dem die sozialen Auswahlkriterien im Verhältnis zueinander gewichtet werden. Und bei der Aufstellung eines solchen Punkteschemas ist der Betriebsrat in der Mitbestimmung. Denn es handelt sich dabei um eine Auswahlrichtlinie im Sinne von § 95 Abs. 1 BetrVG. Und nach dieser Vorschrift bedürfen Richtlinien über die personelle Auswahl bei Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats.
Dieses Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Sozialauswahl greift nicht nur dann, wenn ein Punkteschema aufgestellt werden soll, dass generell bei allen künftigen betriebsbedingten Kündigungen angewendet werden soll, sondern auch dann, wenn es nur auf eine einzige, konkret bevorstehende Kündigungssituation angewendet werden soll. Und genau das wird von Arbeitgebern häufig übersehen.