Arbeitgeber dürfen von ihren Arbeitnehmern bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit (AU-Bescheinigung) ab dem ersten Krankheitstag verlangen. Dieses Verlangen würde aber das Einverständnis des Betriebsrats voraussetzen, wenn dieser hier ein Mitbestimmungsrecht hätte. Ohne die Zustimmung des Betriebsrats wäre die entsprechende Anweisung des Arbeitgebers dann unwirksam.
Arbeitnehmer sind gesetzlich verpflichtet, dem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung über ihre Arbeitsunfähigkeit vorzulegen, wenn sie länger als drei Tage arbeitsunfähig erkrankt sind. Diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist dem Arbeitgeber grundsätzlich erst am vierten Tag nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen (§ 5 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz). Der Arbeitgeber kann die Vorlage einer AU-Bescheinigung aber auch für eine Arbeitsunfähigkeit verlangen, die weniger als drei Tage dauert. Außerdem ist er berechtigt, die Vorlage schon zu einem früheren Zeitpunkt zu verlangen, z.B. bereits am ersten Krankheitstag. Hierfür benötigt der Arbeitgeber keinen besonderen Grund. Das Verlangen des Arbeitgebers darf nur nicht willkürlich, diskrimierend oder schikanierend sein und nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundatz verstoßen.
In Betrieben mit Betriebsrat stellt sich allerdings die Frage, ob der Arbeitgeber die Vorlage einer AU-Bescheinigung ab dem ersten Krankheitstag einseitig ohne Beteiligung des Betriebsrats anordnen darf oder ob der Betriebsrat hier nicht ein Mitbestimmungsrecht hat. Hätte der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht, dürfte der Arbeitgeber die Vorlage einer AU-Bescheinigung ab dem ersten Krankheitstag nur mit Einverständnis des Betriebsrats anordnen. Ohne Zustimmung des Betriebsrats wäre die entsprechende Anweisung des Arbeitgebers rechtlich unwirksam. Die Arbeitnehmer müsste sich nicht an die Anweisung halten.
Grundsätzlich ist ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anordnung der Vorlage einer AU-Bescheinigung ab dem ersten Krankheitstag zu bejahen (vgl. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 25.01.2000 – 1 ABR 3/99). Dieses Recht ergibt sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat bei Fragen des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Bei der Pflicht der Arbeitnehmer, eine AU-Bescheingung vorzulegen, handelt es sich um eine solche Frage des betrieblichen Ordnungsverhaltens.
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG setzt allerdings stets einen sogenannten kollektiven Bezug voraus. Das bedeutet, dass der Betriebsrat nur bei solchen Maßnahmen des Arbeitgeber mitzubestimmen hat, die mehrere Arbeitnehmer betreffen. Betrifft eine Maßnahme des Arbeitgebers nur einen einzelnen Arbeitnehmer in einem konkreten Einzelfall, besteht grundsätzlich kein Mitbestimmungsrecht. Ob der Betriebsrat bei der Anordnung der Vorlage einer AU-Bescheinigung bereits ab dem ersten Krankheitstag ein Mitbestimmungsrecht hat, hängt deshalb davon ab, ob der Arbeitgeber diese Vorlage nur in einem konkreten Einzelfall von einem einzelnen Arbeitnehmer verlangt, oder ob der Arbeitgeber generelle Anweisungen über die Vorlage von AU-Bescheinigungen trifft, die für mehrere oder sogar alle Arbeitnehmer des Betriebs gelten sollen.
Fordert der Arbeitgeber also nur einen bestimmten Arbeitnehmer auf, bei der nächsten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit schon am ersten Krankheitstag eine AU-Bescheinigung vorzulegen, besteht kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Ordnet der Arbeitgeber dagegen an, dass künftig alle Arbeitnehmer des Betriebs (oder zumindest eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern) künftig AU-Bescheinigungen ab dem ersten Krankheitstag vorlegen sollen, hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht.