Aufgrund der Corona-Pandemie wurde eine Vorschrift in das Betriebsverfassungsgesetz eingeführt, die dem Betriebsrat die Durchführung von Betriebsratssitzungen per Video- oder Telefonkonferenz ermöglichte (§ 129 BetrVG). Diese Vorschrift galt allerdings nur befristet bis zum 30.06.2021. Seit dem 01.07.2021 sind Betriebsratssitzungen per Video- oder Telefonkonferenz zwar nach wie vor möglich, jedoch nur noch unter bestimmten Voraussetzungen. Welche Voraussetzungen das sind, erläutern wir in diesem Artikel.
Text: Rechtsanwalt Dr. Kluge, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Hannover
Präsenzsitzungen, Sitzungen per Video- oder Telefonkonferenz und gemischte Sitzungen
Betriebsratssitzungen können auf verschiedene Weise durchgeführt werden.
Eine Betriebsratssitzung kann als reine Präsenzsitzung durchgeführt werden. Dann treffen sich die Betriebsratsmitglieder vor Ort in einem Sitzungsraum, alle Teilnehmer an der Sitzung sind körperlich anwesend.
Eine Betriebsratssitzung kann aber auch als reine Video- oder Telefonkonferenz (Online-Sitzung) stattfinden. Dann nehmen sämtliche Betriebsratsmitglieder mittels einer Video- und/oder Audioverbindung an der Sitzung teil.
Und schließlich kann eine Betriebsratssitzung auch als gemischte Sitzung durchgeführt werden (hybride Sitzung). In diesem Fall findet eine Präsenzsitzung vor Ort statt, jedoch mit der zusätzlichen Möglichkeit für die Betriebsratsmitglieder, sich per Video- und/oder Audioverbindung zu der Sitzung dazuzuschalten.
Nach der neuen gesetzlichen Regelung in § 30 BetrVG kann ein Betriebsrat sowohl Präsenzsitzungen als auch Online-Sitzungen und gemischte Sitzungen durchführen. Ob Betriebsratssitzungen als Online-Sitzungen bzw. als gemischte Sitzungen stattfinden dürfen, entscheidet allein der Betriebsrat. Der Arbeitgeber darf dem Betriebsrat hierzu keine Vorschriften machen. Insbesondere kann der Arbeitgeber nicht vom Betriebsrat verlangen, aus Kostengründen Sitzungen mittels Video- oder Telefonkonferenz durchzuführen. Der Betriebsrat kann auf der Durchführung von Präsenzsitzungen bestehen, auch wenn diese höhere Kosten verursachen.
Wichtig!
Präsenzsitzungen haben Vorrang vor Sitzungen per Video- oder Telefonkonferenz!
Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen Betriebsratssitzungen grundsätzlich als Präsenzsitzungen stattfinden. Präsenzsitzungen haben nach der gesetzlichen Regelung Vorrang vor Sitzungen per Video- oder Telefonkonferenz. Grund dafür ist, dass nur auf einer Präsenzsitzung eine direkte soziale Interaktion möglich ist. Körpersprache, Mimik und Gestik können in einer Video- oder Telefonkonferenz nicht in gleicher Weise wahrgenommen werden wie in einer Präsenzsitzung.
Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Betriebsratssitzung per Video- oder Telefonkonferenz
Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Betriebsratssitzung per Video- oder Telefonkonferenz sind in § 30 Abs. 2 BetrVG geregelt. Nach dieser Vorschrift darf eine Betriebsratssitzung nur dann ganz oder teilweise per Video- oder Telefonkonferenz durchgeführt werden, wenn die folgenden drei Voraussetzungen vorliegen:
- Bestehen einer Regelung zur Durchführung von Betriebsratssitzungen per Video- oder Telefonkonferenz in der Geschäftsordnung des Betriebsrats
- Kein Widerspruch von mindestens einem Viertel der Betriebsratsmitglieder
- Sicherstellung, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können
Regelung in der Geschäftsordnung des Betriebsrats
Grundvoraussetzung für die Zulässigkeit einer Betriebsratssitzung per Video- oder Telefonkonferenz und für das Dazuschalten von Betriebsratsmitgliedern zu einer Sitzung mittels Video-/Audioverbindung ist, dass es dafür eine Regelung in der Geschäftsordnung des Betriebsrats gibt.
Wichtig!
Keine Online-Sitzung ohne Geschäftsordnung!
Ohne eine Regelung der Thematik in der Geschäftsordnung des Betriebsrats, darf der Betriebsrat keine Sitzungen per Video- oder Telefonkonferenz durchführen.
Anforderungen an die Regelung
Die Regelung in der Geschäftsordnung muss die Voraussetzungen für die Durchführung von Betriebsratssitzungen per Video- oder Telefonkonferenz festlegen und dabei den Vorrang der Präsenzsitzung sichern.
Nach der Gesetzesbegründung kann der Vorrang der Präsenzsitzung beispielsweise gesichert werden durch
- eine Begrenzung der Anzahl von Sitzungen, die ganz oder teilweise als Video- und Telefonkonferenz durchgeführt werden können, oder
- eine Beschränkung auf bestimmte Themen, auf Sachverhalte, bei denen der Betriebsrat eine möglichst schnelle Befassung für angezeigt hält oder
- durch eine Begrenzung auf Fälle, in denen sie dem Gesundheitsschutz der Betriebsratsmitglieder dient.
Ein Muster für eine Regelung von Online-Sitzungen in der Geschäftsordnung des Betriebsrats findest du hier.
Absolute Mehrheit und Schriftform erforderlich
Für den Erlass einer Geschäftsordnung ist – genauso wie für eine Änderung oder Ergänzung der Geschäftsordnung – ein Betriebsratsbeschluss mit absoluter Mehrheit nötig. Das bedeutet, die Mehrzahl der insgesamt vorhandenen Betriebsratsmitglieder muss mit Ja stimmen, um eine Geschäftsordnung zu erlassen, zu ändern oder zu ergänzen.
Die Geschäftsordnung eines Betriebsrats bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Das bedeutet, die Geschäftsordnung muss nach der Beschlussfassung auf Papier ausgedruckt (oder aufgeschrieben) und vom Betriebsratsvorsitzenden unterschrieben werden. Erst dann ist die Geschäftsordnung rechtlich wirksam.
Kein Widerspruch von mindestens einem Viertel der Betriebsratsmitglieder
Eine Betriebsratssitzung darf nicht – weder ganz noch teilweise – per Video- oder Telefonkonferenz durchgeführt werden, wenn mindestens ein Viertel der Betriebsratsmitglieder fristgemäß widerspricht.
Wichtig!
Keine Online-Sitzung, wenn ein Viertel der Betriebsratsmitglieder widerspricht!
Die Frist für den Widerspruch wird von dem Betriebsratsvorsitzenden bestimmt. Eine besondere Form ist für den Widerspruch der Betriebsratsmitglieder nicht vorgeschrieben. Er kann deshalb z.B. auch mündlich erfolgen.
Sicherstellung, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können
Als dritte Voraussetzung für die Durchführung von Betriebsratssitzungen per Video- oder Telefonkonferenz verlangt das Gesetz die Sicherstellung, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Mit dieser Voraussetzung soll die Einhaltung des Grundsatzes der Nichtöffentlichkeit von Betriebsratssitzungen und damit die Vertraulichkeit der Sitzungen gewährleistet werden.
Damit die Vertraulichkeit einer Sitzung gewährleistet ist, muss der Betriebsrat ein Video-/Telefonkonferenz-System einsetzen, das entsprechend sicher ist. Insbesondere sollte das eingesetzte System die übertragenen Inhalte nach dem aktuellen Stand der Technik verschlüsseln. Außerdem muss ausgeschlossen sein, dass Unbefugte auf das System zugreifen können. Deshalb sollte der Betriebsrat nicht mit einer Lizenz des Arbeitgebers arbeiten, sondern eine eigene Lizenz verlangen, weil ansonsten der Arbeitgeber bzw. Mitarbeiter aus der IT-Abteilung des Arbeitgebers aufgrund ihrer Administratorenrechte die Möglichkeit haben könnten, auf Inhalte der Sitzungen zuzugreifen.
Darüber hinaus muss jedes an der Sitzung teilnehmende Betriebsratsmitglied in seinem Verantwortungsbereich dafür sorgen, dass die Vertraulichkeit der Sitzung gewahrt ist. Jedes Betriebsratsmitglied muss sicherstellen, dass während seiner Teilnahme an einer Online-Sitzung keine unbefugten Personen Kenntnis vom Inhalt der Sitzung nehmen können. Dafür ist es grundsätzlich erforderlich, dass sich das Betriebsratsmitglied während der Sitzungsteilnahme in einem Raum aufhält, in dem keine Personen anwesend sind, die kein Teilnahmerecht an der Betriebsratssitzung haben. Sollte während der Sitzung eine nicht teilnahmeberechtigte Person den Raum betreten, muss das Betriebsratsmitglied hierüber unverzüglich den Betriebsratsvorsitzenden informieren.
Die Betriebsratsmitglieder sollten zu Beginn ihrer Teilnahme an der Sitzung gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden zu Protokoll versichern, dass sie sich in einem nichtöffentlichen Raum befinden, in dem keine unbefugten Personen anwesend sind.
Durchführung einer Betriebsratssitzung per Video- oder Telefonkonferenz
Was die Durchführung einer Betriebsratssitzung per Video- oder Telefonkonferenz angeht, gibt es im Vergleich zu einer Präsenzsitzung einige Besonderheiten zu beachten.
Einladung zu der Sitzung
In der Einladung zu der Sitzung muss der Betriebsratsvorsitzende die Betriebsratsmitglieder darauf hinweisen, dass und in welcher Weise für die Sitzung die Nutzung von Video- und Telefonkonferenz beabsichtigt ist. Er muss den Betriebsratsmitgliedern außerdem eine angemessene Frist zum Widerspruch gegen die Durchführung der Sitzung per Video- oder Telefonkonferenz setzen.
Bestätigung der Teilnahme durch die Betriebsratsmitglieder
Bei einer Präsenzsitzung müssen sich die teilnehmenden Betriebsratsmitglieder eigenhändig in eine Anwesenheitsliste eintragen, die nach der Sitzung dem Sitzungsprotokoll beigefügt wird. Bei der Teilnahme an einer Online-Sitzung ist dies nicht möglich. Ein Betriebsratsmitglied, das an einer Sitzung mittels Video-/Audioverbindung teilnimmt, muss deshalb seine Teilnahme gegenüber dem Vorsitzenden der Sitzung in Textform bestätigen (zum Beispiel per E-Mail oder per Messenger- oder Chatfunktion). Diese Bestätigung ersetzt die Eintragung in die Anwesenheitsliste. Die Bestätigung muss deshalb – wie eine Anwesenheitsliste – nach der Sitzung dem Sitzungsprotokoll beigefügt werden.
Freie Wahl der Form der Teilnahme bei gemischter Sitzung
Wenn eine Präsenzsitzung durchgeführt wird, aber zusätzlich die Möglichkeit besteht, dass sich Betriebsratsmitglieder per Video- und/oder Audioverbindung zu der Sitzung dazuschalten („gemischte Sitzung“), kann jedes Betriebsratsmitglied selbst entscheiden, ob es in Präsenz vor Ort an der Sitzung teilnimmt oder per Video-/Audioverbindung.
Ein Betriebsratsmitglied darf nicht gezwungen werden, aus Kostengründen auf eine Teilnahme vor Ort zu verzichten. Dies wird durch die Regelung in § 30 Abs. 3 BetrVG sichergestellt, nach der auch eine Teilnahme vor Ort als erforderlich gilt, wenn eine Betriebsratssitzung mit der zusätzlichen Möglichkeit der Teilnahme mittels Video- und Telefonkonferenz stattfindet.
Aufzeichnung ist unzulässig
Jede Form der Aufzeichnung einer mittels Video- oder Telefonkonferenz durchgeführten Sitzung ist unzulässig. Unzulässig ist insbesondere das Anfertigen von Video- und Tonaufnahmen der Sitzung, aber auch das Anfertigen einzelner Bildschirmfotos („Screenshots“).
Beschlussfassung auf einer Sitzung per Video- oder Telefonkonferenz
Der Betriebsrat kann auf einer per Video- oder Telefonkonferenz durchgeführten Betriebsratssitzung rechtswirksame Beschlüsse fassen.
Voraussetzung für eine wirksame Beschlussfassung des Betriebsrats auf einer Online-Sitzung ist allerdings zumindest,
- dass der Betriebsrat die Durchführung von Betriebsratssitzungen per Video- oder Telefonkonferenz vorher in seiner Geschäftsordnung geregelt hat und
- dass nicht mindestens ein Viertel der Betriebsratsmitglieder der Durchführung der Sitzung mittels Video- oder Telefonkonferenz fristgemäß widersprochen hat.
Wenn es keine Regelung zur Durchführung von Betriebsratssitzungen per Video- oder Telefonkonferenz in der Geschäftsordnung des Betriebsrats gibt, ist ein auf einer Online-Sitzung oder auf einer gemischten Sitzung gefasster Beschluss unwirksam. Das Gleiche gilt, wenn es zwar eine Regelung in der Geschäftsordnung gibt, aber mindestens ein Viertel der Betriebsratsmitglieder der Durchführung der Sitzung mittels Video- oder Telefonkonferenz fristgemäß widersprochen hat.
Sitzungen sonstiger betriebsverfassungsrechtlicher Gremien per Video- oder Telefonkonferenz
Die Möglichkeit, Online-Sitzungen durchzuführen, besteht nicht nur für den Betriebsrat. Die Regeln für die Durchführung einer Sitzung per Video- oder Telefonkonferenz gelten entsprechend insbesondere auch für
- den Gesamtbetriebsrat,
- den Konzernbetriebsrat,
- die Jugend- und Auszubildendenvertretung,
- den Betriebsausschuss,
- sonstige Ausschüsse und Arbeitsgruppen nach § 28a BetrVG und
- den Wirtschaftsausschuss.