Der Betriebsrat kann einer ordentlichen Kündigung aus gesetzlich geregelten Gründen widersprechen. Dieser Beitrag erläutert die fünf gesetzlich vorgesehenen Widerspruchsgründe, die Voraussetzungen eines wirksamen Widerspruchs und die daraus resultierenden Rechtsfolgen.
von Rechtsanwalt Dr. jur. Henning Kluge
Im Gesetz ist vorgesehen, dass der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung widersprechen kann, wenn ein bestimmter Grund für einen Widerspruch gegen die Kündigung vorliegt. Ein Betriebsrat kann zwar auch dann einen Widerspruch gegen eine ordentliche Kündigung einlegen, wenn kein gesetzlicher Widerspruchsgrund vorliegt, und er kann auch einen Widerspruch gegen eine außerordentliche Kündigung einlegen. In diesem Beitrag geht es aber nur um die im Gesetz ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit des Betriebsrats, einer ordentlichen Kündigung aus einem der gesetzlich vorgesehenen Gründe zu widersprechen. Nur mit dieser Widerspruchsmöglichkeit kann der Betriebsrat Rechtsfolgen zugunsten des betroffenen Arbeitnehmers auslösen.
Die Widerspruchsgründe
Nach dem Gesetz kann der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung nicht aus jedem beliebigen Grund widersprechen, sondern nur aus ganz bestimmten Gründen. Insgesamt sieht das Gesetz 5 Widerspruchsgründe vor:
- Fehlerhafte Sozialauswahl
- Verstoß gegen eine Auswahlrichtlinie
- Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf anderem Arbeitsplatz
- Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach Umschulung oder Fortbildung
- Weiterbeschäftigungsmöglichkeit unter geänderten Vertragsbedingungen
Fehlerhafte Sozialauswahl
Nach dem ersten im Gesetz festgelegten Widerspruchsgrund kann der Betriebsrat einer Kündigung widersprechen, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (§ 102 Absatz 3 Nr. 1 BetrVG).
Damit der Betriebsrat diesen Widerspruchsgrund haben kann, muss eine Situation vorliegen, in der mehrere Arbeitnehmer für die Kündigung in Betracht kommen und der Arbeitgeber sich für die Kündigung eines bestimmten Arbeitnehmers entschieden hat. Eine solche Situation gibt es häufig bei betriebsbedingten Kündigungen.
Beispiel:
Ein Arbeitgeber beschäftigt insgesamt 20 Mitarbeiter in der Produktion. Wegen der Anschaffung einer neuen, effizienteren Produktionsanlage braucht der Arbeitgeber aber zukünftig nur noch 15 Mitarbeiter in der Produktion. In einer solchen Situation kann der Arbeitgeber einen betriebsbedingten Kündigungsgrund für 5 Produktionsmitarbeiter haben.
Wenn der Arbeitgeber aus diesem Grund 5 Produktionsmitarbeitern kündigen will, muss er entscheiden, welche 5 von den insgesamt 20 Produktionsmitarbeitern die Kündigung bekommen sollen.
In einer Situation, in der mehrere Arbeitnehmer für die Kündigung in Betracht kommen und sich der Arbeitgeber für die Kündigung eines bestimmten Arbeitnehmers entschieden hat, könnte der Betriebsrat der Kündigung dieses Arbeitnehmers mit der Begründung widersprechen, dass er diesen Arbeitnehmer für sozial schutzwürdiger ansieht als einen anderen Arbeitnehmer, der ebenfalls für die Kündigung in Betracht kommt.
Merkmale, die der Betriebsrat zur Feststellung der sozialen Schutzwürdigkeit eines Arbeitnehmers heranziehen kann, sind unter anderem:
- Lebensalter
- Dauer der Betriebszugehörigkeit
- Unterhaltspflichten
- Schwerbehinderung
- Pflegebedürftigkeit naher Angehöriger
- finanzielle Lage
- Alleinerziehender Elternteil
- Chancen auf dem Arbeitsmarkt
Der Widerspruchsgrund „Fehlerhafte Sozialauswahl” spielt in erster Linie bei betriebsbedingten Kündigungen eine Rolle, weil er voraussetzt, dass der Arbeitgeber eine Auswahlentscheidung zwischen mehreren für die Kündigung in Betracht kommenden Arbeitnehmern getroffen hat. Bei personenbedingten und verhaltensbedingten Kündigungen wird dieser Widerspruchsgrund dagegen eher selten gegeben sein, weil hier in der Regel nicht mehrere Arbeitnehmer für die Kündigung in Betracht kommen und deshalb keine Auswahlentscheidung getroffen wird. Ganz ausgeschlossen ist der Widerspruchsgrund „Fehlerhafte Sozialauswahl” aber auch bei personen- und verhaltensbedingten Kündigungen nicht.
Beispiel 1:
Im Betrieb gibt es 3 Produktionsmitarbeiter, die aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht mehr in der Lage sind, ihre arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Der Arbeitgeber entscheidet sich dazu, leidensgerechte Arbeitsplätze für insgesamt 2 Produktionsmitarbeiter einzurichten. Die Einrichtung von weiteren leidensgerechten Arbeitsplätzen hält er nicht für sinnvoll.
Da für die insgesamt 3 Arbeitnehmer mit körperlichen Einschränkungen nur 2 leidensgerechte Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, entscheidet er sich dazu, einem dieser Arbeitnehmer personenbedingt zu kündigen. Der Betriebsrat könnte der Kündigung dieses Arbeitnehmers gegebenenfalls mit der Begründung widersprechen, dass er sozial schutzwürdiger ist als einer der beiden anderen Arbeitnehmer.
Beispiel 2:
Die Kollegen Markus Weber und Thomas Schmidt haben sich während der Arbeitszeit gegenseitig provoziert und beleidigt. Die Situation eskalierte schließlich in eine leichtere, körperliche Auseinandersetzung, die zu einer Störung des Arbeitsablaufs führte. Beiden Mitarbeitern kann ein Fehlverhalten vorgeworfen werden, das eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen könnte. Aufgrund von Personalmangel entscheidet sich der Arbeitgeber aber dazu, nur einem der beiden zu kündigen. Seine Entscheidung fällt auf Thomas Schmidt. Der Betriebsrat könnte der Kündigung von Herrn Schmidt gegebenenfalls mit der Begründung widersprechen, dass Herr Schmidt sozial schutzwürdiger ist als Herr Weber, so dass anstelle von Herrn Schmidt Herrn Weber gekündigt werden soll.
Verstoß gegen eine Auswahlrichtlinie
Der zweite im Gesetz vorgesehene Widerspruchsgrund liegt vor, wenn die Kündigung gegen eine sogenannte Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG verstoßen würde (§ 102 Absatz 3 Nr. 2 BetrVG).
Auswahlrichtlinien für Kündigungen nach § 95 sind von Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam aufgestellte Regeln, nach denen unter mehreren für eine Kündigung in Betracht kommenden Arbeitnehmern die Arbeitnehmer ausgewählt werden, die eine Kündigung bekommen sollen. Auch hier geht es also wieder um Situationen, in denen mehrere Arbeitnehmer für eine Kündigung in Betracht kommen und eine Auswahlentscheidung getroffen werden soll. Dieser Widerspruchsgrund spielt deshalb ebenfalls in erster Linie bei betriebsbedingten Kündigungen eine Rolle.
Bei betriebsbedingten Kündigungen muss nach dem Kündigungsschutzgesetz eine Sozialauswahl vorgenommen werden, wenn für eine Kündigung mehr Arbeitnehmer in Betracht kommen als gekündigt werden sollen. Es darf nur den Arbeitnehmern gekündigt werden, die am wenigsten sozial schutzwürdig sind. Diese Sozialauswahl ist von Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam vorzunehmen, weil der Betriebsrat dabei ein Mitbestimmungsrecht hat. Dies geschieht in der Regel dadurch, dass Arbeitgeber und Betriebsrat ein Punkteschema vereinbaren, das verschiedene Punktzahlen für die 4 vom Gesetz vorgegebenen sozialen Auswahlkriterien vergibt:
- Lebensalter,
- Dauer der Betriebszugehörigkeit,
- Unterhaltspflichten und
- Schwerbehinderung.
Für jeden Arbeitnehmer, der für die betriebsbedingte Kündigung in Betracht kommt, ergibt sich aus einem solchen Punkteschema eine bestimmte Punktzahl und gekündigt werden dürfen nur die Arbeitnehmer mit der geringsten Punktzahl. Falls sich der Arbeitgeber nicht an ein solches mit dem Betriebsrat vereinbartes Punkteschema hält, könnte der Betriebsrat der Kündigung eines Arbeitnehmers widersprechen, dem nach dem Punkteschema eigentlich nicht gekündigt werden darf.
Beispiel:
Der Arbeitgeber möchte 5 Produktionsmitarbeitern betriebsbedingt kündigen. Für die Kündigung kommen insgesamt 20 Mitarbeiter in Betracht. Arbeitgeber und Betriebsrat haben das folgende Punkteschema aufgestellt, um die soziale Schutzwürdigkeit der für die Kündigung in Betracht kommenden Arbeitnehmer zu bewerten.
Der Arbeitgeber möchte einem Arbeitnehmer kündigen, der nach diesem Punkteschema mehr Punkte hat als 5 andere für die Kündigung in Betracht kommende Arbeitnehmer. Der Betriebsrat könnte der Kündigung mit einem Hinweis auf einen Verstoß gegen das Punkteschema widersprechen.
Der Widerspruchsgrund „Verstoß gegen eine Auswahlrichtlinie” setzt voraus, dass Arbeitgeber und Betriebsrat eine Auswahlrichtlinie vereinbart haben, gegen die der Arbeitgeber verstoßen haben kann. In welcher Form Arbeitgeber und Betriebsrat diese Richtlinie vereinbart haben, spielt keine Rolle. Eine Auswahlrichtlinie kann als Betriebsvereinbarung, aber auch als formlose Regelungsabrede vereinbart werden. Solange Arbeitgeber und Betriebsrat aber noch keine Auswahlrichtlinie vereinbart haben, kann der Arbeitgeber auch nicht gegen eine solche verstoßen haben und der Betriebsrat kann dann auch keinen entsprechenden Widerspruchsgrund haben.
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf anderem Arbeitsplatz
Der dritte im Gesetz vorgesehene Grund für den Betriebsrat für einen Widerspruch gegen eine Kündigung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden könnte (§ 102 Absatz 3 Nr. 3 BetrVG).
Bei der Geltendmachung dieses Widerspruchsgrundes argumentiert der Betriebsrat, dass der betroffene Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz arbeiten könnte, wenn er auf seinem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr eingesetzt werden kann oder soll. Eine Kündigung seitens des Arbeitgebers wäre dann nicht erforderlich.
Beispiel:
Der Arbeitgeber möchte dem Produktionsmitarbeiter Hans Meier kündigen, weil die Produktionslinie, an der dieser Mitarbeiter arbeitet, dauerhaft stillgelegt werden soll. Es gibt aber auch noch andere Produktionslinien, die nicht stillgelegt werden. In diesem Fall könnte der Betriebsrat der Kündigung von Herrn Meier gegebenenfalls mit der Begründung widersprechen, dass dieser an einer anderen Produktionslinie weiterarbeiten kann.
Allerdings besteht der Widerspruchsgrund „Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Arbeitsplatz” nur dann, wenn der Arbeitsplatz, auf dem der Arbeitnehmer nach Meinung des Betriebsrats weiterbeschäftigt werden kann, bereits vorhanden und auch frei ist. Kein Widerspruchsgrund würde vorliegen, wenn der Arbeitnehmer zwar auf einem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden könnte, dieser andere Arbeitsplatz aber mit einem anderen Arbeitnehmer besetzt ist oder wenn dieser Arbeitsplatz noch gar nicht existiert, sondern erst geschaffen werden müsste.
Beispiel:
In dem vorherigen Beispiel hätte der Betriebsrat nur dann einen Widerspruchsgrund gegen die Kündigung, wenn er sagen könnte, dass an einer anderen Produktionslinie ein Arbeitsplatz frei ist.
Als freie Arbeitsplätze, auf denen der zu kündigende Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden kann, können aber auch solche Arbeitsplätze gelten, die aktuell mit Leiharbeitnehmern oder mit Arbeitnehmern besetzt sind, die nur einen befristeten Arbeitsvertrag haben.
Beispiel:
In dem vorherigen Beispiel sind zwar aktuell alle Arbeitsplätze an den anderen Produktionslinien mit Mitarbeitern besetzt, einige davon aber mit Leiharbeitnehmern. Der Betriebsrat könnte seinen Widerspruch gegen die Kündigung mit der Begründung einlegen, dass Herr Meier an einer anderen Produktionslinie auf einem Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann, der derzeit mit einem Leiharbeitnehmer besetzt ist.
Der Widerspruchsgrund „Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf anderem Arbeitsplatz” spielt insbesondere wieder bei betriebsbedingten Kündigungen eine Rolle. Er kann aber durchaus auch bei personenbedingten Kündigungen vorliegen.
Beispiel:
Der Arbeitnehmer Werner Krause ist als Logistikmitarbeiter angestellt. Seine Aufgaben bestehen darin, schwere Warenpakete zu heben, zu transportieren und zu verladen. Aufgrund einer chronischen Rückenerkrankung kann er diese körperlich anspruchsvolle Arbeit nicht mehr ausführen. Der Arbeitgeber möchte Herrn Krause deshalb aus personenbedingten Gründen kündigen.
Im Betrieb gibt es einen freien Arbeitsplatz in der Lagerverwaltung. Auf diesem Arbeitsplatz besteht die Arbeitsaufgabe in der Erfassung von Lagerbeständen. Diese Tätigkeit erfordert keine schwere körperliche Arbeit. Der Betriebsrat könnte der Kündigung mit der Begründung widersprechen, dass Herr Krause auf dem Arbeitsplatz in der Lagerverwaltung weiterbeschäftigt werden kann.
Bei verhaltensbedingten Kündigungen wird der Widerspruchsgrund „Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf anderem Arbeitsplatz” in der Regel nicht in Betracht kommen, er ist hier aber auch nicht völlig ausgeschlossen.
Beispiel:
Der Arbeitnehmer Stefan Meier ist in einer Supermarktkette als Einzelhandelsmitarbeiter eingestellt. Er arbeitet derzeit als Kassierer. In den letzten Monaten gab es wiederholt Beschwerden von Kunden über seine Unfreundlichkeit und unangemessenes Verhalten an der Kasse. Nachdem sich sein Verhalten gegenüber den Kunden auch nach zwei Abmahnungen nicht gebessert hat, möchte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis verhaltensbedingt kündigen. Im Supermarkt gibt es eine freie Stelle im Warenlager, wo Waren angenommen, kontrolliert und für den Verkauf vorbereitet werden. Diese Tätigkeit erfordert keinen direkten Kundenkontakt. Der Betriebsrat könnte der Kündigung mit der Begründung widersprechen, dass Herr Meier auf dem Arbeitsplatz im Warenlager weiterbeschäftigt werden kann.
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach Umschulung oder Fortbildung
Bei dem vierten im Gesetz vorgesehenen Widerspruchsgrund (§ 102 Absatz 3 Nr. 4 BetrVG) besteht dieselbe Ausgangslage wie bei dem gerade behandelten dritten Widerspruchsgrund: Der Arbeitnehmer könnte auf einem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden. Der Unterschied zum dritten Widerspruchsgrund besteht hier lediglich darin, dass der Arbeitnehmer noch nicht sofort auf dem anderen Arbeitsplatz eingesetzt werden kann, weil ihm dazu nötige Kenntnisse oder Fähigkeiten fehlen. In einer solchen Situation kann der Betriebsrat der Kündigung widersprechen, wenn er sagen kann, dass der Arbeitnehmer sich die nötigen Kenntnisse oder Fähigkeiten durch zumutbare Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen aneignen kann.
Beispiel:
Die Arbeitnehmerin Lisa Berger ist als „Kaufmännische Mitarbeiterin” angestellt. Sie arbeitet derzeit als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung. Aufgrund der Einführung einer neuen KI-gestützten Software-Lösung fällt diese Stelle weg und der Arbeitgeber möchte ihr betriebsbedingt kündigen.
In der Personalabteilung ist eine Stelle als Personalsachbearbeiterin frei. Diese Tätigkeit erfordert jedoch Grundkenntnisse im Arbeitsrecht und in der Lohnabrechnung, über die die Arbeitnehmerin derzeit nicht verfügt. Eine interne Schulung über Lohn- und Gehaltsabrechnung sowie arbeitsrechtliche Grundlagen würde allerdings ausreichen, um sie auf die neue Position vorzubereiten. Der Betriebsrat könnte der Kündigung mit der Begründung widersprechen, dass die Arbeitnehmerin nach einer zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme auf der Stelle der Personalsachbearbeiterin weiterbeschäftigt werden könnte.
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit unter geänderten Vertragsbedingungen
Bei dem fünften Widerspruchsgrund (§ 102 Absatz 3 Nr. 5 BetrVG) besteht ebenfalls dieselbe Ausgangslage wie bei dem dritten Widerspruchsgrund: Der Arbeitnehmer könnte auf einem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden. Der Unterschied zum dritten Widerspruchsgrund besteht hier darin, dass der Arbeitnehmer derzeit deshalb nicht auf dem anderen Arbeitsplatz eingesetzt werden kann, weil der Einsatz auf diesem Arbeitsplatz nicht zum Inhalt des Arbeitsvertrages des Arbeitnehmers passt. Für einen Einsatz auf dem anderen Arbeitsplatz müsste erst der Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers entsprechend geändert werden.
Beispiel:
Ein Produktionsmitarbeiter arbeitet an einer Produktionslinie, die stillgelegt werden soll. Dieser Mitarbeiter ist nach seinem Arbeitsvertrag auch als „Produktionsmitarbeiter” eingestellt worden. In der Produktion gibt es keinen freien Arbeitsplatz, auf dem der Mitarbeiter weiterbeschäftigt werden könnte. Es gibt allerdings einen freien Arbeitsplatz als „Lagermitarbeiter”. Damit der Arbeitnehmer als „Lagermitarbeiter” weiterarbeiten kann, müsste aber erst einmal sein Arbeitsvertrag entsprechend geändert werden. Es müsste im Arbeitsvertrag statt einer Tätigkeit als „Produktionsmitarbeiter” eine Tätigkeit als „Lagermitarbeiter” vereinbart werden.
Die Änderung eines Arbeitsvertrags setzt voraus, dass der Arbeitnehmer ihr zustimmt. Wenn für die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz eine Vertragsänderung erforderlich ist, ist deshalb Voraussetzung für einen Widerspruch des Betriebsrats, dass sich der Arbeitnehmer mit der Vertragsänderung einverstanden erklärt hat. Der Betriebsrat müsste den Arbeitnehmer deshalb fragen, ob er mit einer entsprechenden Änderung seines Arbeitsvertrages einverstanden ist, bevor er diesen Widerspruchsgrund geltend macht.
Rechtsfolgen des Widerspruchs
Wenn der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung ordnungsgemäß widerspricht, löst dies zwei Rechtsfolgen aus:
- Der Arbeitnehmer kann einen vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch erwerben.
- Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer zusammen mit der Kündigung eine Kopie der Stellungnahme des Betriebsrats aushändigen.
Vorläufiger Weiterbeschäftigungsanspruch
Wenn der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung ordnungsgemäß widersprochen hat, der Arbeitgeber die Kündigung anschließend dennoch ausspricht und der Arbeitnehmer daraufhin eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreicht, kann der gekündigte Arbeitnehmer vom Arbeitgeber verlangen, über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus so lange weiterbeschäftigt zu werden, bis der Kündigungsschutzprozess rechtskräftig abgeschlossen ist. In dieser Zeit muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer dann selbstverständlich auch das Gehalt weiterzahlen.
Beispiel:
Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer Werner Krause am 22.06.2026 unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31.07.2026 gekündigt. Der Betriebsrat hat der Kündigung ordnungsgemäß widersprochen. Herr Krause hat eine Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung beim Arbeitsgericht eingereicht. Wegen des Widerspruchs des Betriebsrats kann Herr Krause vom Arbeitgeber verlangen, auch nach Ablauf der Kündigungsfrist so lange weiterbeschäftigt zu werden, bis sein Kündigungsschutzprozess rechtskräftig abgeschlossen ist. Herr Krause bekommt dann auch nach dem Ablauf der Kündigungsfrist ab August 2026 jeden Monat weiterhin sein Gehalt gezahlt.
Die Pflicht des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung tritt allerdings nicht automatisch ein. Der Arbeitnehmer muss den Arbeitgeber erst noch ausdrücklich zur Weiterbeschäftigung auffordern. Diese Aufforderung muss erfolgen, bevor die Kündigungsfrist abgelaufen ist.
Beispiel:
In dem vorherigen Beispiel müsste Herr Krause spätestens am 31.07.2026 die Weiterbeschäftigung bei seinem Arbeitgeber einfordern. Denn an diesem Tag läuft die Kündigungsfrist ab.
Die Aufforderung zur Weiterbeschäftigung sollte möglichst schriftlich erfolgen, damit der Arbeitnehmer diese gegebenenfalls nachweisen kann.
Muster:
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Schreiben vom … haben Sie das zwischen uns bestehende Arbeitsverhältnis gekündigt. Gegen diese Kündigung habe ich Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht eingereicht.
Der Betriebsrat hat der Kündigung widersprochen. Ich verlange daher gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG meine Weiterbeschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.Mit freundlichen Grüßen
(Arbeitnehmer)
Der Weiterbeschäftigungsanspruch besteht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses. Bis ein Kündigungsschutzprozess rechtskräftig abgeschlossen ist, kann eine erhebliche Zeit vergehen. Ein Kündigungsschutzprozess dauert, wenn sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht gütlich einigen, regelmäßig länger als ein Jahr, unter Umständen sogar länger als zwei Jahre.
Beispiel:
In dem oben stehenden Beispiel hat Herr Krause gegen die Kündigung vom 22.06.2026 eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht eingereicht. Das Arbeitsgericht weist diese Klage mit einem Urteil vom 12.01.2027 ab, weil es die Kündigung als wirksam ansieht. Herr Krause legt gegen das Urteil Berufung ein. Das Landesarbeitsgericht weist die Berufung mit Urteil vom 22.10.2027 zurück. Gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts legt Herr Krause eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht ein. Diese wird vom Bundesarbeitsgericht am 30.04.2028 zurückgewiesen. Erst mit dieser Entscheidung ist der Kündigungsschutzprozess rechtskräftig abgeschlossen. Bis einschließlich April 2028 hat Herr Krause weiterhin jeden Monat sein Gehalt bekommen. Ohne den Betriebsratswiderspruch hätte Herr Krause als letztes Gehalt das Gehalt für den Monat Juli 2026 erhalten.
Entbindung des Arbeitgebers von der Weiterbeschäftigungspflicht
In bestimmten Fällen kann sich der Arbeitgeber von seiner Pflicht zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entbinden lassen. Das ist dann der Fall, wenn
- die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
- die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
- der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.
Wenn sich der Arbeitgeber von der Weiterbeschäftigungspflicht entbinden lassen will, muss er dazu einen Antrag beim Arbeitsgericht auf Erlass einer entsprechenden einstweiligen Verfügung stellen. Erst wenn das Arbeitsgericht einem solchen Antrag des Arbeitgebers stattgegeben und eine einstweilige Verfügung erlassen hat, fällt die Weiterbeschäftigungspflicht für ihn weg.
Aushändigung der Stellungnahme des Betriebsrats
Wenn der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung widersprochen hat und der Arbeitgeber die Kündigung dennoch ausspricht, muss er dem Arbeitnehmer zusammen mit der Kündigung eine Kopie der Stellungnahme des Betriebsrats zu der Kündigung zukommen lassen.
Die Kenntnis der Stellungnahme des Betriebsrats zu der Kündigung kann für den Arbeitnehmer sehr hilfreich sein. Denn in dieser Stellungnahme ist der Grund angegeben, aus dem der Betriebsrat der Kündigung widersprochen hat. Die in der Stellungnahme des Betriebsrats enthaltenen Informationen kann der Arbeitnehmer in seinem Kündigungsschutzprozess verwenden, um sich gegen die Kündigung zu verteidigen. Denn die Gründe, aus denen der Betriebsrat einer Kündigung widersprechen kann, sind Gründe, die zugleich auch zur Unwirksamkeit der Kündigung führen würden.
Voraussetzungen für das Eintreten der Rechtsfolgen eines Widerspruchs
Voraussetzung für das Eintreten der soeben beschriebenen Rechtsfolgen ist ein formal ordnungsgemäßer Widerspruch des Betriebsrats. Dazu muss zunächst einmal ein rechtswirksamer Beschluss des Betriebsrats über den Widerspruch vorliegen. Außerdem muss der Betriebsrat dem Arbeitgeber seinen Widerspruch innerhalb einer Frist von einer Woche schriftlich und mit Begründung mitgeteilt haben. Die Begründung muss dabei das Vorliegen eines gesetzlichen Widerspruchsgrundes zumindest als möglich erscheinen lassen. Ist nur eine dieser Voraussetzungen nicht eingehalten, löst der Widerspruch des Betriebsrats keine Rechtsfolgen aus.